Durch die Häuserschluchten im mittleren Westen – Vom Bayerischen Platz zum Kreuzberg

Kolonnaden am Kleistpark und Verwaltungsgebäude Bruno Paul © FM Rohm

Kolonnaden am Kleistpark und Verwaltungsgebäude Bruno Paul © FM Rohm

Wir begeben uns diesmal auf einen Ausflug durch die Straßenschluchten von Schöneberg nach Kreuzberg. Wie sich die Stadt Stück für Stück erneuert, sieht auch man am U-Bahnhof Bayerischer Platz der Linie 7. Der ist im letzten Jahr vom Grund auf neu entstanden, mit kubischem Grundriss und dem Café Haberland samt urbaner Terrasse auf dem Flachdach. Außergewöhnlich ist das Kulturkonzept des Bahnhofs, mit Ausstellungen und Installationen zur bis 1938 jüdisch geprägten Geschichte des Kiezes.
Von hier nehmen wir die Salzburger Straße, biegen an der Wartburgstraße links ab, überqueren die viel befahrene Martin-Luther-Straße, gehen rechts und die nächste links zur Belziger Straße. Ein erster Ruhepunkt ist der Heinrich-Lassen-Parks, der beschaulich hinter der vielbefahrenen Schöneberger Hauptstraße liegt. Wir gehen nun Richtung Osten, vorbei an dem dunkelroten Backsteinbau der Gustav-Langenscheidt-Schule.
Wie wohl die Fassaden der herrschaftliche Gründerzeithäuser links und rechts ausgesehen haben, bevor der Stuck abgeschlagen wurde? Alle paar Meter kann man hier in einem Café oder Lokal Station machen, eine Tradition, die vielleicht von den großen Biergärten der Gründerzeit herrührt. Damals kamen am Wochenende mehrere tausend Menschen mit der Pferdebahn aus der Stadt in Etablissements wie den Schwarzen Adler zur Sommerfrische.
Schöneberger Gasometer von der Belziger Straße © FM Rohm

Schöneberger Gasometer von der Belziger Straße © FM Rohm

Je näher wir der Szenemeile Akazienstraße kommen, desto mehr kleine Geschäfte für Mode, Schuhe, Papier und Vintage-Möbel verleiten zum Blick in die Schaufenster. Über die Akazienstraße führt unser Weg links über einen Spielplatz.
Die Gleditschstraße verbreitert sich über die Grunewaldstraße zur breiten, kopfsteingepflasterten, Platanen-gesäumten Meile Richtung Winterfeldtplatz. Auf der Höhe Barbarossastraße nehmen wir rechterhand einen nur Kiezbewohnern bekannten Durchgang zum Kammergericht am Kleistpark.

1909-1913 wurde das gewaltige Gebäude im Neobarockstil nach Entwürfen von Paul Thoemer und Rudolf Mönnich errichtet und spiegelt wie kaum ein Gebäude Berlins Geschichte des vergangenen Jahrhunderts. Das höchste Berliner Gericht tagte hier in der Weimarer Republik. Während der Zeit des Nationalsozialismus war der Plenarsaal ab 1944 eine Außenstelle des furchtbaren Volksgerichthofs Im Schauprozess verurteilte Roland Freisler zahlreiche Beteiligte des Hitler-Attentats zum Tode.

Fahnenhalterungen der Alliierten am Kammergericht, Kleistpark, Berlin © FM Rohm

Fahnenhalterungen der Alliierten am Kammergericht, Kleistpark, Berlin © FM Rohm

Nach Kriegsende war in den Räumen der Alliierte Kontrollrat untergebracht.
Im September 1971 wurde das Viermächte-Abkommen über den Status-West-Berlins unterzeichnet, die nächsten neunzehn Jahre war der Kontrollrat hauptsächlich für die Überwachung der Luftkorridore zuständig. An der Ostfassade sieht man noch die vier Fahnenhalterungen der Alliierten. Links und rechts stehen zwei lebensgroßen Pferdeskulpturen, die Zar Nikolaus der I. 1842 seinem Schwager König Friedrich-Wilhelm IV. zum Geschenk machte. Bis 1945 standen sie vor dem Stadtschloss.
 

Siegespark mit Aussicht
Schinkeldenkmal auf dem Kreuzberg, Berlin © FM Rohm

Schinkeldenkmal auf dem Kreuzberg, Berlin © FM Rohm

Auch die sich östlich an den Park anschließenden, 1780 von Carl von Gontard entworfenen Königskolonnaden befanden sich ursprünglich im Ostteil Berlins. Anfang des 20. Jahrhunderts mussten sie dem Umbau am Alexanderplatz weichen. Direkt nebenan setzt das kreideweiße Verwaltungs-Gebäude von Bruno Paul einen krassen Gegensatz zu den barocken Kolonnaden.
Wir huschen zwischen dem Verkehr über die Potsdamer Straße und gelangen durch die Großgörschenstraße unter der S-Bahngleisen zum Alten St. Matthäus-Kirchhof. Rechts davon windet sich die Hochkirchstaße wie ein kleines Bergsträßchen hoch zur Monumentenstraße. Dort biegen wir links Richtung Kreuzberg. Auf der Brücke genießen den weiten Blick Richtung Potsdamer Platz und erreichen nach einigen hundert Metern an der Katzbachstraße den Viktoriapark. Den ließ Preußen nach den siegreichen Schlachten über Napoleon mit einem riesigen Bronzegussmonument nach Entwürfen von Friedrich Schinkel anlegen.
Das 2003 restaurierte, dunkelgrün gestrichene Monument mit Allegorien zu den Schlachten ist bei vielen Berlinern und Besuchern der Stadt beliebt wegen seines faszinierenden Ausblicks hinter zum Wasserfalls und auf den Norden der Stadt.
Wir gehen durch den Park zum Mehring-Damm und gelangen links bergan zu U-Bahnstation Platz der Luftbrücke, rechts geht es hinunter zur Station Mehringdamm der Linie 7. 

 

TIPPS

Alter St-Matthäus-Kirchhof Als Bernd Boßmann (Foto) 2006 das Café Finovo am Eingang des

Bernd Bormann, Alter St. Matthäus-Friedhof, Schöneberg, Berlin © FM Rohm

Bernd Bormann, Alter St. Matthäus-Friedhof, Schöneberg, Berlin © FM Rohm

Friedhofs eröffnete, gab es viel Zuspruch. Endlich hatten Friedhofsbesucher einen Ort, an dem sie sich Ausruhen und mit anderen ins Gespräch kommen konnten. „Wir wollten Leben und Tod miteinander verbinden“, sagt Boßmann. Er initiierte auch Patenschaften für die teilweise einsturzbedrohten Grabstätten und engagiert sich für an Aids Verstorbene. Führungen zu den Grabstätten, u. a. der Gebrüder Grimm, Minna Cauer, Rio Reiser, gibt es auch kulturelle Veranstaltungen.
Großgörschenstraße 12, Schöneberg, Tel. 20 61 55 20, täglich ab 9-19 Uhr, www.efeu-ev.de

Osteria No 1 Berlins älteste Osteria befindet sich nicht weit vom Wasserfall des Kreuzbergs und existiert seit 1979. Gäste schätzen authentische italienische Speisen und eine angenehme Atmosphäre. Bei gutem Wetter ist der liebevoll gestaltete Garten ein Tipp.
Kreuzbergstraße 71, Kreuzberg, Tel. 786 91 62, täglich 12-24 Uhr, www.osteria-uno.de

Scheinbar Das 1984 gegründete Varieté zählt zu den besten Kleinkunstbühnen der Stadt. Auf der winzigen Bühne wird von Mittwoch bis Sonntag Kabarett, Akrobatik, Jonglage und Clownerie der Extraklasse geboten.
Monumentenstraße 9, Schöneberg, Tel. 784 55 39, www.scheinbar.de

 

Der Ausflug dauert je nach Verweildauer auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof und im Viktoria-Park 3 bis 4,5 Stunden.

Veröffentlicht unter Reportagen