In der Küche der Kreuzberger Szenebar „Limonadier“ breitet Barkeeper Mario Grüner seine Einkäufe aus. Frische Salatgurken, Blaubeeren, Staudensellerie und Rote Bete liegen auf der Arbeitsfläche. In den nächsten eineinhalb Stunden entsaftet er Gemüse und Obst und füllt die gesunden Säfte in Glasflaschen mit Barausgießer. Dann setzt er Lavendelblüten und Rosmarin mit Wasser und etwas Zucker an. Nach dem Abkochen seiht er die Blüten und den Rosmarin ab und füllt die so gewonnenen Sirupe ebenfalls ab. Die Obst- und Fruchtsäfte werden jeden Tag frisch hergestellt. „Die Limonaden laufen bei Hitze erstaunlich gut“, konstatiert der 27-jährige Barkeeper. Vier Limonaden finden sich derzeit auf der Karte der Szenebar, in der am Wochenende 160 Sitzplätze nicht ausreichen. Dann muss man Wartezeiten in Kauf nehmen.
Die Idee, hausgemachte Limonaden anzubieten und auch, die Bar „Limonadier“ zu nennen, hatte Barbesitzer Erich dos Santos. Der Sohn eines Brasilianers und einer türkischen Zypriotin verbrachte einen Teil seiner Kindheit auf Zypern auf. Schon damals faszinierten ihn die Limonadenverkäufer, die auf den Märkten des Orients unterwegs waren. „Diese sogenannten Limonadiers sind eigentlich die Vorläufer der Barkeeper. Denn sie machen mit ihren erfrischenden Getränken nicht nur die Kinder glücklich, sondern mischten kräuterige Essenzen, erfrischende Säfte und gesüßte Sirupe für die Erwachsenen auch mit Alkohol. Als Barbetreiber habe er sich immer wieder mit Limonaden beschäftigt, viel gelesen und entschied, hausgemachte Limonaden in seiner Bar anzubieten. „Die Nachfrage ist gut und wir wechseln alle zwei, drei Monate die Limonadenkarte“, erzählt der 43-Jährige. Den Sommer über sind vier Geschmacksrichtungen im Angebot. Gurke Lavendel, Rote Bete, Holunder Sellerie und Blaubeere. Für die Süße sorgen entweder Sirupe von Lavendel, Blaubeere und Holunderbeere. Oder Honigwasser, aus einer Hälfte Blütenhonig und einer Hälfte Wasser zubereitet. Die erfrischende Säure kommt stets vom Saft ausgepresster Limetten oder Zitronen, aufgegossen wird immer mit Soda. Die Limonaden serviert Mario Grüner in Halbliter-Henkel-Marmeladengläsern, mit reichlich Eis und liebevoll arrangierter Deko wie Sellerieblättern, Blaubeeren oder Orangenstückchen. Fünf Euro kostet der halbe Liter.Möglichst ohne Zucker
„Gesunde, frisch zubereitete Limonaden sind wieder stark im Kommen“, stellt Kirsten Schiekiera fest. Die Autorin hat das Buch „Limonaden, Eistees & Fassbrausen“ geschrieben, das kürzlich bei der Stiftung Warentest erschienen ist. „Jeder verbindet mit Limonade Kindheitserinnerungen“, sagt die Autorin. Oft stammten die Rezepte von den Müttern oder Großmüttern. „Deshalb ist das Thema sehr positiv besetzt“. Mehr als 70 Rezepte finden sich in Kirsten Schiekieras Buch, von kalorienarm über vitaminreich, für Kinder oder schnell zu machen. Besonders interessant findet die Autorin den neuen Trend der mit Hefekulturen hergestellten Limonaden. Unterschieden wird zwischen Reinhefekulturen, Wasserkefir und mit Kombucha hergestellten Limonaden. „Bei Verwendung von natürlichen Hefen oder Pilzen entsteht durch den Gärungsprozess und Wasser natürliche Kohlensäure“, so Kirsten Schiekiera. Ihr Favorit bei den Rezepten ist Himbeer-Basilikum-Spritz. „Sie ist sehr erfrischend und die Kräuter setzen interessante Geschmacksakzente.“ (Siehe auch Rezept). Die meisten Limonaden in ihrem Rezeptbuch haben einen Zuckeranteil von unter zehn Prozent, das ist weit weniger als die Hälfte industriell hergestellter Limonade.
Komplett ohne Zuckerzusatz arbeitet Laura Zumbaum von Selosoda. Die 27-jährige studierte BWlerin kam bei dem Berliner Start-Up Coffee Circle das erste Mal mit fairen Handelsmodellen der Kaffeebranche in Kontakt. „Bei Besuchen auf Kaffeefarmen in Mittelamerika lernte ich, dass ein Drittel der Ernte, die sogenannten Kaffeekirschen in deren Mitte die Kaffeebohnen stecken, einfach weggeworfen werden. Das wollte ich ändern.“ Also sann Laura Zumbaum über ein nachhaltiges Konzept und kam nach einigen Recherchen auf das Thema Limonaden. „Die Kaffeekirschen sind koffeinhaltig, und erstaunlich gesund. Sie enthalten natürliche Süße, fruchtige Aromen, Vitamine und Antioxidantien. So entstand die Idee ihres Start-Ups Selosoda. Selo heißt auf Esperanto Schale. „Das ergab die wohlklingende Aliteration mit dem Wort Soda“, so Laura Zumbaum.Die ersten Chargen getrockneter Kaffeekirschen kaufte sie von einer Farm aus Panama. „Das größte Problem war, einen Abfüller zu finden, der erst einmal nur wenige tausend Flaschen befüllt. Die meisten Firmen wollen Chargen ab 50 000 Flaschen befüllen“. Fündig wurde Laura Zumbaum schließlich im Schwarzwald. Sie stellte einen Businessplan auf, lieh sich Geld und fing an. Mittlerweile hat sie die eigene Firma, kauft zusätzlich Kaffeekirschen in Costa Rica, und arbeitet an zwei neuen Geschmacksrichtungen. Neben der herb-fruchtigen Selosoda-Limonade soll bald noch eine lieblichere mit Traubensaft auf den Markt kommen, und eine mit Gin.
Die Herstellung der Kaffeekirschen-Limonade ist ähnlich wie eine Teezubereitung.
Die getrockneten Kaffeekirschen werden mit Quellwasser aufgegossen, ziehen bei einer bestimmten Temperatur eine gewisse Zeit und werden dann mit Kohlensäure versetzt und abgefüllt. Laura Zumbaums Ziel ist eine Produktion von rund 100 000 0,3 l-Flaschen. „Ab dann rechnet es sich.“ Eine Möglichkeit, den Umsatz zu steigern, wäre Rohware mit Bio-Zertifikat. Dann käme die Jungunternehmerin in die lukrativen Bio-Supermärkte. „Doch obwohl unser Produzent voll ökologisch arbeitet, ist er aus Kostengründen nicht lizenziert.“ Zur Zeit ist sie in etwa 75 Restaurants in Berlin, Köln, Wien und München vertreten. Und in Geschäften wie „Getränkefeinkost“ von Kai Charkiewicz in Friedrichshain.
In seinem Sortiment befinden sich weitestgehend Produkte von unabhängigen Produzenten, kleinen Manufakturen, familiengeführten Betriebe und Start-Ups wie dem von Laura Zumbaum. In den Regalen stehen mehr als 100 Limonaden, daneben auch Craftbiere und Apfelcider. „Wir wollen zeigen, dass es Alternativen zu den bekannten Massenprodukten gibt“, erklärt der engagierte Getränkeverkäufer.
Ostmost, Heldenpause und Berliner Mätchen
Den Trend zur etwas anderen Limo setzte vor rund 20 Jahren das Unternehmen „Bionade“ mit ausgefallenen Geschmacksrichtungen wie Holunder, Litschi oder Ingwer-Orange. Die durch Fermentation von Malz aus überwiegend biologischen Rohstoffen hergestellte Limonade entwickelte sich ab 1995 binnen zehn Jahren zu einem gefragten Szenegetränk, von dem 2008 mehr als 200 Millionen Flaschen verkauft wurden. Später wurde das Familienunternehmens an die Radeberger-Gruppe verkauft. Eine weitere bekannte Limonaden-Alternative ist Club-Mate auf Basis des südamerikanischen Mate-Tee, der reichlich Koffein enthält und mit herben Geschmacksnoten punktet.
Gut verkaufen sich bei „Getränkefeinkost“ Limonaden von „Ostmost“ mit stylischen Etiketten, Schraubverschluss und Apfel-Minze-Geschmack oder Streuobst-Schorle.
Die Firma „Berliner Mätchen“ verwendet wie „Club Mate“ den südamerikanischen Tee. Grundstoff ist allerdings klarer oder naturtrüber Apfelsaft zu. Wenn überhaupt, wird bei den alternativen Limonaden meistens nicht mit Zucker, gesüßt, sondern mit Agavendicksaft. Neu und erfolgreich auf dem umkämpften Markt ist ein Trio aus Heidelberg, die „Heldenpause“ abfüllen. Unter dem Slogan „Entspannt euch“ mischen sie in ihre Limonaden Kräuter und Hopfen. Erfrischend, belebend und nicht zu süß ist die Limo mit Birne-Traube-Geschmack, Melisse, Passionsblume und Hopfen. „Im Monatsrhythmus kommen neue Limonaden auf den Markt“, sagt Kai Charkiewicz. „Ob sie sich letztlich durchsetzen, bestimmen die Verbraucher.“
Limonaden, Eistees & Fassbrausen, Kirsten Schiekiera, Stiftung Warentest, 16,90 Euro
Getränkefeinkost, Boxhagener Straße 24, Friedrichshain, 25 93 38 00, Mo-Fr 13-20, Sbd 11-20 Uhr, www.getraenkefeinkost.de
Limonadier, Nostitzstraße 12, Kreuzberg, Tel. 0170-601 20 20, Mo-Do 18-2, Fr+Sbd 18-3 Uhr, www.limonadier.de
Selosoda, Brunnenstraße 55, Wedding, Tel. 55 27 57 54, www.selosoda.com
Himbeer-Basilikum-Spritz
35 Minuten Zubereitung + Ziehzeit, 1,5 Liter
Zutaten:
1 Kilo Himbeeren, frisch oder tiefgekühlt, 80 Gramm Blütenhonig, 5 Zweige Basilikum, 20 ml Zitronensaft , 1 EL Vanillesirup
Zum Servieren: 1 Bio-Zitrone, 3 Limetten, 2 Basilikum-Zweige ,1 l stark sprudelndes Mineralwasser, Eiswürfel
Die Himbeeren zusammen mit 250 ml Wasser und dem Zitronensaft aufkochen. Dabei immer wieder umrühren. Die heiße Himbeerflüssigkeit durch ein sehr feines Sieb gießen und passieren, sodass die Kerne und das Fruchtfleisch aussortiert werden. Den heißen Saft mit Honig und Vanillesirup gründlich verrühren. Die Basilikumzweige abwaschen. Die Flüssigkeit mit dem Basilikum abgedeckt über Nacht durchziehen lassen.
Zum Servieren das restliche Basilikum waschen, Zitrone heiß abwaschen und trocken reiben und in Achtel schneiden. Jeweils ein Drittel des Safts (etwa 100 Milliliter) in einer großen Glaskanne mit einer Flasche stark sprudelndem Mineralwasser aufgießen. Einmal vorsichtig mit einem großen Löffel umrühren. Eiswürfel, Zitronenachtel und Basilikumblätter dazugeben.
Historie der Limonade
Limonade war bereits in der römischen Antike bekannt und blieb unter dem Namen Posca jahrhundertelang populär. Trinkwasser wurde einfach mit einem Schuss Essig versetzt. Der Geschmack hing dabei sehr stark von der Dosierung des Essigs ab. Auch die Fruchtsorte, aus der der Essig hergestellt wurde, hatte einen entscheidenden Anteil am Geschmack. Wann die heutige Form der Limonade entstand, bleibt jedoch unklar. Einer der ersten Nachweise stammt aus dem 16./17. Jahrhundert aus Spanien
Der Urtyp aller modernen Limonaden, der englische Lemon Squash, war ursprünglich ein reines Naturprodukt aus Wasser, Zucker und Zitronensaft. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurde Lemon Squash künstlich hergestellt.