Freimaurer: Die Geheimen Brüder

Freimauerer Kai Knoblauch, r., Frédéric Vo Van, Friedrich zur Bruderkette, Berlin, © FM Rohm

Sind Freimaurer eine verschworene Gesellschaft, die im Geheimen wirkt und mehr Macht besitzt als man weiß? Die Männer der wieder aktivierten Berliner Loge „Friedrich zur Bruderkette“ geben einen Einblick

Freimauerer Tempelinsignie Friedrich zur Bruderkette, Berlin, © FM Rohm

„Humanitati“ leuchtet der Schriftzug neonhell über der Villa an der Heerstraße. Hier, im vornehmen Westend treffen sich in dem herrschaftlichen Großlogenhaus der ältesten deutschen Freimaurergroßloge, der Großen National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“, 15 verschiedene Berliner Logen. Zwei weitere Logenhäuser befinden sich in der Emser Straße und der Peter-Lenné Straße. 

Das Geheimnis des Hauses liegt im ersten Stock, es ist der Tempel der Logen. Hier treffen sich alle Logenmitglieder im Wochen-Turnus, auch die rund 20 Mitglieder der Loge „Friedrich zur Bruderkette“, um zu „arbeiten“. So heißen die befremdlichen Rituale, die sich alle zwei Wochen wiederholen. Dieses Element des Geheimen interessierte auch Franz Michael Günter, Kurator des Deutschen Spionagemuseums. Am 28. Januar lädt er zur Diskussions-Veranstaltung „Eine Geheimloge zu Besuch“ an den Leipziger Platz.
Das für Außenstehende sehr irritierende Moment im Logenhaus ist die Bekleidung der Männer, die für die „Tempelarbeit“ vorgeschrieben ist: Schwarzer Anzug, weißes Hemd, ein Bijoux genanntes schmuckähnliches Erkennungszeichen an einem Band um den Hals, weiße Handschuhe, einen kleinen Schurz vor dem Bauch und einen Zylinder auf dem Kopf. Weitere Merkwürdigkeit: Zwei und zwei untergehakt gehen sie die Treppe hinauf zum Tempeleingang. „Das bedeutet, kein Bruder ist allein. Wir sind füreinander da“, erklärt Frédéric Vo Van, Erster Aufseher der Loge „Friedrich zur Bruderkette“. Was im Tempel passiert, ist für Nicht-Freimaurer tabu. Und nicht alle Logen gehen so offensiv an die Öffentlichkeit wie „Friedrich zur Bruderkette“. Beim Phototermin gab es bei anderen Logenmitgliedern, die im Anschluss in den Tempel gingen, kritische Blicke.

Freimauerer Frédéric Vo Van, Friedrich zur Bruderkette, Berlin, © FM Rohm

Im Lavendelblau gestrichenen Raum befinden sich hinten zwei Pulte. An ihnen stehen Frédéric Vo Van und Kai Knoblauch, ebenfalls ein Aufseher der Loge. Ihnen gegenüber auf einem erhöhten Podest sitzt der „Meister vom Stuhl“, der Vorsitzende der Loge, Jörgen Schmidt-Olufsen. Hinter ihm hängt ein mannshohes Ölgemälde. Es wurde 1923 vom Hofmaler Kaiser Wilhelm II., an die Große National-Mutterloge gestiftet und zeigt Jesus im Garten von Gethsemane. Vor dem „Meister vom Stuhl“ liegt eine große Bibel, auf ihr liegen die Insignien der Freimaurerei, Zirkel und Winkelmaß. Links und rechts der Pulte sitzen die Mitglieder der Loge, zwischen Aufseher und Vorsitzendem stehen drei unterschiedlich gearbeitete, hölzerne Säulen mit Kerzen. Zum Einzug der Freimaurerbruderpaare wird meist klassische Musik gespielt, „es kann aber auch schon mal Jazz sein“, erklärt Frédéric Vo Van. Der 41-jährige ist Sohn eines Vietnamesen und einer Französin und im profanen Leben Angestellter in einem deutschen Luftfahrtunternehmen. Sein Logenbruder Kai Knoblauch arbeitet als Bauingenieur bei der BVG, der „Meister vom Stuhl“ Jörgen-Schmidt-Olufsen leitete lange Jahre eines der großen Berliner Ingenieursbüros.
Was passiert, wenn alle Brüder im Raum Platz genommen haben, ist nicht öffentlich. Nur so viel verrät Frédéric Vo Van: „Wir entrücken dem profanen Leben, es gibt dann einen Vortrag über ein gesellschaftliches, wissenschaftliches oder philosophisches Thema. Warum dann die ganze Geheimniskrämerei? „Die Freimaurer haben viele Arten der Verfolgung erleiden müssen, deshalb“, erklärt Jörgen Schmidt-Olufsen später beim Neujahrsempfang der Loge im Erdgeschoss. Dazu sind auch Frauen und Kinder der Männerloge „Friedrich zur Bruderkette“ eingeladen. 

Das Erdgeschoss ist im Stil der späten 70er Jahre eingerichtet, gediegenes Eichenparkett, rot bezogene Alustühle, weiße Tischdecken auf den Tischen der Versammlungsräume. Auffällig sind die großen Ölgemälde von Friedrich dem Großen. Der Preußenkönig war 1740 Gründer der Großen National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“. Wenn die beiden Logen-Aufseher erzählen, klingt es nach einem fidelen Männerbund, in dem sich die Mitglieder eine entspannte Zeit gönnen. Dass es bei „Friedrich zur Bruderkette“ auch um gemeinsames Genießen geht, zeigt sich am Mitgliedbeitrag. Der beträgt 45 Euro pro Monat. Darin eingeschlossen ist ein regelmäßiges gemeinsames Essen. „Bei uns wird immer gut gespeist. Wir haben eine Vollküche, es wird frisch und regional gekocht, ohne Convinience-Produkte“, erklärt Vo Van. Darauf legt der aus Nordost-Frankreich stammende Familienvater großen Wert. Warum keine Frauen Mitglieder seiner Loge werden können, erklärt er mit der Historie. Im Mittelalter hätten Frauen keinen Zutritt zu Zünften besessen.
Allerdings gibt es mittlerweile auch Frauenlogen. „In denen haben dann die Männer nichts zu suchen“, sagt Vo Van. Er erläutert, dass die Frauen der Männer vor dem Aufnahmeritual eingeladen werden. Hätten die Aufnehmenden das Gefühl, die Partnerin sei mit der Mitgliedschaft nicht einverstanden, käme die Aufnahme nicht zustande. „Uns geht es um Harmonie, Verständnis und Freude“, meint Frédéric Vo Van. Die Frauen wie die Kinder seien immer auch in die Loge eingeladen, man unternehme viel gemeinsam, fahre ein, bis zweimal im Jahr zusammen weg. 
Freimaurer sind umgeben von wilden Mythen und Spekulationen: Sie gelten als einflussreiche Geheimbünde, die Regierungen und Wirtschaftsunternehmen wenn nicht lenken, so doch maßgeblich beeinflussen. Ihr Mythos lebt von Geheimhaltung, niemand, der nicht durch ein besonderes Initiationsritual aufgenommen ist, kennt die anderen Freimaurer. Das befeuert Mutmaßungen und Gerüchte. Deshalb wurden sie immer wieder verfolgt. Heute haben die meisten Freimaurerlogen, wie auch die „Friedrich zur Bruderkette“, eine Website und sind durchaus offen für Außenstehende.

Freimauerer Kai Knoblauch, r., Frédéric Vo Van, Friedrich zur Bruderkette, Berlin, © FM Rohm

Warum wird man Freimaurer? „Diese Frage ist mir schon hundertmal gestellt worden, und ich kann sie bis heute nicht eindeutig beantworten“, sagt Kai Knoblauch. Zusammen mit Frédéric Vo Van und anderen hat er im vergangenen September die mehr als hundert Jahre alte Berliner Loge reaktiviert. „Lichteinbringung“ lautet dafür der Terminus technicus der Freimaurer. Vo Van bewegt zur Beantwortung der Frage nach dem persönlichen Eintrittsgrund den Kopf hin und her, es dauert, bis er eine Antwort gibt. „Eigentlich ist es ganz profan, ich würde sagen, Freimaurer wollen die Welt ein bisschen besser machen.“

In der Ecke seiner Altbauwohnung in Prenzlauer Berg stapeln sich gepackte Kartons mit Spielsachen. Es ist die Sammlung der Loge für das christliche Kinder- und Jugendhilfswerk Arche. „Was ich gut fand war, dass es sich um einen Verein nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch handelt. Und dass zwei Dinge in der Loge nichts zu suchen haben: diese sind Religion und Politik“, sagt Kai Knoblauch Eine Grundvoraussetzung für die Aufnahme gibt es allerdings. Es ist der Glaube an eine höhere Macht, in der Freimaurersprache an einen „allmächtiger Baumeister aller Welten“. Das muss kein Gott sein, es könnte sogar eine Göttin sein. In Deutschland liegt in fast in jedem Tempel die Bibel aus, je nach persönlichem Glaubensbekenntnis können auch, Koran, Thora oder ähnliches ausgelegt werden. 
„Ich würde sagen, es geht darum, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen“, versucht Vo Van zu erklären. Für ihn ist die Freimaurerei eine „innere Einstellung. Sie sei dogmenfrei, schon vor dreihundert Jahren habe es innerhalb der Logen keine Standesunterschiede gegeben.“ Zu seinem Aufnahmeritual darf er nichts sagen, es unterliegt der unverbrüchlichen Schweigepflicht. 

Freimauerer Tempelinsignie Friedrich zur Bruderkette, Berlin, © FM Rohm

Er erklärt die einheitliche Bekleidung der Freimaurer mit ihrer Historie. Entstanden seien sie aus den Maurerzünften des frühen Mittelalters. „Es waren freie Maurer, Kathedralenbaumeister, die als einzige nicht dem ortsgebundenen Zunftzwang unterlagen – und sie verfolgten teils liberale Ideen.“ Um 1380 wurden sie das erste Mal erwähnt. Wie bei dem Maurerberuf gibt es Lehrlinge, Gesellen und Meister, viele Symbole stammen aus dem Bauhandwerk, etwa Zirkel, Hammer, Senkblei und Winkel. „Die weißen Handschuhe stehen für die Schutzhandschuhe der Steinmetze, die damit ihre Hände schützten, ebenso der Schurz, der Bauch und Weichteile bei der Arbeit vor Steinsplittern schützte. Sie sind aus Leder“, so Vo Van. Der Zylinder sei erst später hinzugekommen, als das Tragen von Hüten nur „freien Männern von gutem Ruf“ gestattet war. 
Die Logen in Deutschland sind auch noch heute in sogenannten Großlogen zusammen gefasst. Die älteste und bis 1935 größte Großloge, die Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ residierte schon immer in der Berliner Splittgerbergasse welche sich bis Ende des 2. Weltkrieges in der Nähe des Roten Rathauses befand. Das imposante Großlogenhaus mit seinen vielen Tempeln und Gesellschaftsräumen wurde im 2. Weltkrieg völlig zerstört und wie das Berliner Stadtschloss von der DDR-Regierung abgerissen. In Deutschland waren Anfang des 20. Jahrhunderts mehr als 80 000 Männer in Logen organisiert. Die Logen erfreuten sich zu dieser Zeit eines so starken Zuwachses, dass viele neue Logen gegründet um die Mitgliederzahlen in den einzelnen Logen zu vermindern wurden.
„Den Prunk und die Pracht, auch den Reichtum dieser Logen in der Splittgerbergasse kann man sich heute kaum vorstellen“, erklärt Kai Knoblauch. Auf historischen Fotos ist der pompöse Ballsaal, welcher im ersten Weltkrieg auf Kosten der Logen als Lazarett betrieben wurde zu sehen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Freimaurer unter Druck gesetzt, sich selbst aufzulösen. Dies geschah in den Jahren 1934 und 1935. Kurz darauf wurde das Logenhaus in der Splittgerbergasse geplündert, viele Mitglieder verleugneten ihre Mitgliedschaft zu ihrer persönlichen Sicherheit, andere kamen ins Konzentrationslager. 
„Nach dem 2. Weltkrieg begannen einige Brüder, mit Genehmigung der West-Allieierten schnell mit dem Wiederaufbau“, berichtet Frédéric Vo Van. In West-Berlin trafen sich die Logen zunächst in provisorischen Unterkünften, da sämtlicher Besitz zerstört war. Dies änderte sich erst gegen Ende der fünfziger Jahre. „In Ost-Berlin wie in der gesamten DDR wurden Freimauer nicht verboten, aber ihnen wurden klargemacht, dass die Sozialistische Einheitspartei und weitere staatliche Organisationen ein Fortbestehen von Freimaurerlogen überflüssig gemacht hätten“, so Vo Van. Auf dem ehemaligen Gelände der Großloge in der Spittgerbergasse befindet sich heute eine Schule, die Straße existiert nicht mehr. 
Für die Reaktivierung der Loge „Friedrich zur Bruderkette“ haben sie sich aus nostalgischen Gründen entschieden. „Wir wollten den Namen nicht aufgeben“, sagt Knoblauch. Und noch einen Grund gibt es „Wir wollten diese Loge unter modernen Vorzeichen wieder ins Leben rufen“, führt Vo Van aus. Auch deshalb gehe man bei einer Veranstaltung im Deutschen Spionagemuseum an die Öffentlichkeit. Ein weiterer Grund, so Frédéric Vo Van: „Wir wollen versuchen neue, junge Mitglieder für unsere Loge, für die Freimaurerei, zu begeistern.“ 

Informationen: www.friedrich-zur-bruderkette.de

Geschichte der Berliner Freimauerer

Die Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ und somit auch die Berliner Freimaurerlogen gehen auf das Jahr 1740 zurück. Kurz nach Beginn seiner Regierungszeit gründete der Hohenzollern-Herrscher Friedrich II. eine Hofloge im Schloss Charlottenburg. Bereits in seiner Zeit als Kronprinz in Rheinsberg war der junge Kronprinz Friedrich Freimaurer. Seine Initiation ist in Braunschweig vollzogen worden. Es gibt Stiche und Gemälde, die Friedrich und seine Entourage mit weißen Handschuhen und Schurzen zeigen. Auch einer der zeitweiligen Freunde der Tafelrunde von Sans Souci, der französische Philosoph und Schriftsteller Voltaire, wird den Freimaurern zugeschrieben.
Verbürgt ist die Freimaurermitgliedschaft der Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Nordamerika Ende des 18. Jahrhunderts. Sowohl George Washington als auch der zweite und der dritte Präsident der USA, John Adams und Thomas Jefferson, gelten als Mitglieder von Freimaurerlogen. Das „alles sehende Auge“, ein mystisches Symbol, trifft man nicht nur in den Logen an, es ziert auch die amerikanischen Dollarnoten.


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