Aromatische Krume, rösche Kruste: Sauerteigbrote stehen hoch in der Gunst der Kunden. Mit Mehl, Wasser, etwas Salz und ganz viel Zeit entstehen in den neuen Berliner Brot-Manufakturen köstliche Backwaren
„Deswegen bin ich Bäcker geworden“ sagt Florian Domberger und schneidet einen 750-Gramm-Laib Roggenbrot auf. Unter der mehlbestäubten, dunkelbraunen, rissigen Kruste verströmt die kleinporige Krume ein appetitanregendes, erdig-säuerliches Aroma. Sofort läuft im Mund das Wasser zusammen, während durch den Kopf Belagmöglichkeiten flimmern: einfach nur mit Butter und Meersalz, mit Gartentomaten, oder mit Leberwurst und Gürkchen, mit Honig, selbst gemachter Quittenmarmelade oder einem Schimmelkäse? Egal, Hauptsache dieses Brot darunter. Ein mit viel Ruhezeit geführtes, mehrfach geknetetes, handgewalktes Sauerteigbrot aus 100 Prozent Roggenvollkorn. „Das Korn kommt von den Feldern unserer Partnerbäckerei Wiese in Eberswalde. Dort baut Björn Wiese auf 14 Hektar Getreide an. Nur für sich und uns lässt er es im Erzgebirge mahlen“, berichtet der 57-Jährige.
2016 begann er mit von Managertätigkeiten angespartem Geld als Quereinsteiger in Berlin den Start ins Backkunsthandwerk. Joachim Weckmann vom „Märkischen Landbrot“ sei ein Mentor gewesen. Neben „Sironi“, dem Mailänder Weizensauerteigbäcker startet er in der Kreuzberger Markthalle Neun. Mittlerweile gibt es sechs Verkaufsstellen, in den auch immer gebacken wird. Außer dem Roggenbrot verkauft Domberger den Bestseller Beutebrot, vier weitere Brotsorten, Semmeln, Schrippen, Seelen und Bretzeln nicht nur an die Laufkundschaft, sondern mittlerweile an rund drei Dutzend Restaurants, davon etliche mit einem oder gar zwei Michelin-Sternen. Die Preise liegen zwischen 8 und 11,50 Euro für das Kilo.
Bäckermeister Johann Kreter: Nachtarbeit wird zukünftig im Bäckerhandwerk der Vergangenheit angehören.
Knapp ein Viertel weniger zahlen Kunden bei „Johann“ in der Schöneberger Gleditschstraße. Die vom Magazin „Feinschmecker“ als derzeit bestes Berliner Brot bezeichneten Laibe von Bäckermeister Johannes Kreter kosten zwischen 6,50 und 9 Euro pro Kilo. An einem normalen Donnerstagmittag steht eine kleine Schlange Kunden bis draußen auf die Straße um eines der verführerisch duftenden Brote des gebürtigen Berliners zu kaufen, am Wochenende kann sie auch mal 30 Meter lang sein. Vor zwei Jahren hat der 38-Jährige in den Räumen einer alten Kiezbäckerei, in deren Räumen nach ihrer Aufgabe einige Zeit ein Café residierte, nach Komplettsanierung seine wunderbare Sauerteigbäckerei eröffnet.
Nach verschiedenen Stationen in Berliner Bäckereien wusste Kreter, wie er mit seiner Philosophie das Bäckerhandwerk so anpassen muss, damit es als „handwerkliches Kulturgut weiter besteht. Zuerst die Grundpfeiler für gutes Brot: Natursauerteig ohne den Zusatz von Industriehefen, hochwertige Mehle aus Urgetreidesorten in Bio- oder Demeter-Qualität und Gärzeiten zwischen 18 bis 30 Stunden“. Doch damit nicht genug. Dazu kommt auch noch „am Tag backen. Nachtarbeit wird zukünftig im Bäckerhandwerk der Vergangenheit angehören. Der Fachkräftemangel ist auch im Bäckerhandwerk eine Herausforderung.“ Aus diesem Grund hat er auch nur an fünf Tagen geöffnet. Das bedeutet Arbeitszeiten, die auch sozial kompatibel sind.
Ein weiterer Punkt ist, dass er nur einen einzigen Sauerteig für seine rund ein Dutzend Brotsorten, Brötchen und Baguettes herstellt. Den Betrieb mit rund 20 Angestellten will er auf die eine Verkaufsstelle in Schöneberg mit Öfen direkt neben dem Verkaufstresen fokussieren. „So sehen die Kunden wie die Brote backe und ihr Aroma bis auf die Straße verbreiten“, so Johann Kreter.
Bei den Mehlen arbeitet er wie einige Mitbewerber auch mit der Rolle Mühle aus dem sächsischen Erzgebirge und der Badischen Zeller Mühle zusammen. „Die liefern exzellente Bio- und Demeter-Qualität“, so Kreter. Neben Rotdinkel und deutschem Hartweizen arbeitet er mit alten Getreidesorten wie Einkorn, Emmer, Rot- und Gelbweizen. Diese sorgen ebenso wie die Verwendung von Dinkelsauerteig für einen „einzigartigen Geschmack und sind sehr bekömmlich.“ Derzeit backt er mit seiner neuesten Entdeckung, Waldstaudenroggen der bis zu zwei Jahre auf dem Feld steht.
Diese in Vergessenheit geratene alte Getreidesorte findet auch bei der neu eröffneten Charlottenburger Bäckerei „Wilmina-Brot“ in der Roggenkruste Verwendung. Neben dem Hotel „Wilmina“ in einem ehemaligen Frauengefängnis an der Kantstraße backt Meister Kai Große fünf Sorten Brot aus Roggen- und Dinkelsauerteig und zwei vorzügliche Sorten Brötchen aus dem Hausbrotteig. Auch hier wird in der Backstube erst ab halb sieben gebacken, bislang nur an fünf Tagen die Woche „aber wenn wir das Personal haben, auch an sieben Tagen“, verspricht Kai Große.
Salz aus der Therme Bad Belzig und 5-Kilo-Weizenblechbrot
Kolja Orzezko und sein Partner Thanos Petalotis von „KEIT“ zählen zu den Puristen unter den Sauerteig-Bäckern. In ihren Geschäften in Friedrichshain, Kreuzberg und Schöneberg wird nichts als Brot verkauft, kein Croissant, kein Kaffee. Der Name bezieht sich auf Nachhaltigkeit, Dankbarkeit und Verlässlichkeit, und symbolisiert die Philosophie der Bäckerei. So werden die meisten Grundstoffe aus einem Radius von 100 Kilometer um Berlin bezogen, etwa Getreide von dem Demeterhof Kuhhorst im Ruppiner Land und Salz aus der Soletherme in Bad Belzig. Auf den ersten Blick mag es in den puristischen Ladengeschäften scheinen, es handele sich um eine Brot-Boutique. In einzelnen Formen werden die sechs verschiedenen Brote, Weizen, Roggen, Körner, Dinkel, Misch und Milch sowie drei Baguettes präsentiert. Geöffnet ist ab 11 Uhr, nur sonnabends und sonntags gibt es ab 9 Uhr Brötchen. „Da keinen Kaffee du süße Backwaren anbieten, haben unsere Kunden kein Problem mit den arbeitsnehmerfreundlichen Öffnungszeiten“, erklärt Kolja Orzezko.
Inspiriert wurden viele Sauerteig-Liebhaber von Chad Robertsons Buch „Das Brot“ mit Rezepten seiner Tartine-Bäckerei in San Francisco. „Allerdings stammen diese Sauerteigrezepte wohl eher von einem im Wortsinne Eigenbrötler aus den Rocky Mountains“, sagt Helmut Gragger, der diese Information von einem befreundeten Dokumentarfilmer hat. Der Österreicher hatte in Wien eine Holzofenbäckerei betrieben, dann zusammen mit Sarah Wiener und einem weiteren Partner in Berlin das „Wiener Brot“ in der Tucholskystraße in Mitte betrieben. Nach deren Wechsel in die Politik entwickelte Gragger die Idee einer eigenen Marke und eröffnete mitten in der Pandemie 2020 an der Potsdamer Straße die erste Filiale. Vergangenes Jahr kam eine weitere Verkaufsstelle in der Uhlandstraße hinzu. Ein Hingucker im Ladengeschäft ist das riesige, rechteckige 5-Kilo-Weizenblechbrot. Zu den Top-Sellern zählen die 2-Kilo-Laibe, unter anderem das dunkle Hausbrot mit dreistufig über 24 Stunden geführten 100-prozentigem Roggensauerteig und Demter-Vollkornmehl.
Sehr beliebt bei der Laufkundschaft sind saftige Sauerteigstullen, die mit Käse, Wurst und Salat belegt sind. Über ein dreiviertel Jahr hat Gragger am Teig für seine neueste Brotkreation getüftelt: das helle Hausbrot. „Die ganz großen Poren des klassischen Weizensauerteigbrotes schätzt gerade unsere jüngere Kundschaft nicht mehr so, aber auch die feine, eher dunkle Roggenkrume wollten sie nicht. Also habe ich einen 48 Stunden geführten Weizenteig entwickelt, der etwas dunkler und mischkleinporiger ist als üblich“, erklärt der 53-Jährige. Das Ergebnis ist eine saftig-aromatische Krume unter röscher Kruste, und hat das Zeug zum Verkaufsschlager.
Domberger, Essener Straße 11, Moabit, Tel. 23 56 04 71, Mo. 15-18.30, Di.-Do. 8-18.30, Fr. 8-18, Sbd. 8-13 Uhr, weitere Filialen in der Markthalle Neun, Ziekowstraße 112 in Tegel, Uhlandstraße 19 und BRLO-Gelände Gleisdreieck, www.domberger-brot-werk.com
Gragger, Potsdamer Straße 107, Tiergarten, Tel. 81 86 64 77, Uhlandstraße170, Charlottenburg, Tel. 68 83 27 780, beide Filialen Mo.-Fr. 7-19, Sbd. 8-16 Uhr, www.gragger.de
Johann, Gleditschstraße 47, Schöneberg, Mi.-So. 8-16 Uhr, www.johannbaeckerei.de
KEIT, Graefestraße 7, Kreuzberg, Grünberger Straße 75, Friedrichshain, Goltzstraße 18, Schöneberg, Di.-Fr 11-19, Sbd. 9-17, So. 9-13 Uhr, www.keit.berlin
Wilmina Brot, Kantstraße 79, Charlottenburg, Mi.-So. 8-16 Uhr, www.wilminabrot.com
Das Brot, Chad Robertson, Sauerteigbrot backen in 160-Schritt-Anleitung, atVerlag, 38 Euro