Die Saison für die schmackhaften Speisepilze hat dieses Jahr früh begonnen. Bis in den Herbst hinein spielen sie in Berliner Restaurants zahlreiche Haupt- und Nebenrollen
„Zum Pilze sammeln gehen wir über die Straße“, berichtet Sven Jahn, seit 2019 Küchenchef im Friedrichshainer Restaurant „Jäger und Lustig“. Der 45-Jährige lebt am Müggelsee und muss zum Pilze sammeln nur einmal über die Straße in den Wald gehen. Dort findet er überwiegend Maronen und Butterpilze, „und wenn es wie dieses Frühjahr früh feucht genug ist, auch Pfifferlinge“. Im 450-Sitzplätze Restaurant mit Biergarten stehen die goldgelb bis ockerfarbenen Speisepilze seit Mitte Juli auf einer separaten Karte. Unter sieben Pfifferling-Gerichten können Gäste in Jahns „Heimatküche“ wählen, von der gerahmten Pfifferlingsuppe mit Kresseschaum und Laugenbrot über Rühreibrot, geschmorte Rinderrippe und Lachsfilet bis zum Gericht Schmorgurke nach Berliner Art mit Zwiebeln, Schinken, Tomaten und neuen Kartoffeln.
Rund 80 Kilo verarbeitet Jahn mit seiner fünfköpfigen Brigade pro Woche. Er bestellt Pfifferlinge bei Lieferant Weihe vom Berliner Fruchthof, „am besten kleine bis mittlere Größe, die haben mehr Geschmack als zeigefingergroße Exemplare.“ Noch immer mache das Säubern der auf den botanischen Namen Cantharellus hörenden Pilze recht viel Arbeit. „Aber im Gegensatz zu früher sind sie nicht mehr so schmutzig“, freut sich Jahn.
Den „einzigartigen, würzigen Geschmack“ der Pfifferlinge schätzt auch Berlins einziger Drei-Sterne-Koch Marco Müller. Mit seinen Eltern ging er als Kind in Geltow bei Potsdam sammeln. „Mein Vater hatte eine ‚Stelle’, die war ein Familiengeheimnis“. Noch heute geht er mit Frau und drei Töchtern in die Pilze, wenn es die Arbeit zulässt. Am liebsten isst der 54-Jährige die Waldbodenbewohner „so pur wie möglich. Mit etwas Butter, durchwachsenem Speck und Schalotte angeschwitzt, auf einem gerösteten Sauerteigbrot, köstlich!“ Im Drei-Sterne-Restaurant dient im neuen Menü eine Handvoll Pfifferlinge beim Gang mit Hahnenkämmen, Hühnerherz und -Magen und ausgebackenen Kapern als „nussig-waldige Nuance“, so Müller.
Fünf Monate Saison
In Brandenburgs Wäldern wachsen Pfifferlinge je nach Witterung ab Ende Juni. „Dieses Jahr sogar seit Ende Mai, weil wir viel Regen hatten”, berichtet René Jarling, Kurator des Herbars im Botanischen Garten und Pilzsachverständiger. Pfifferlinge gehören zur Gruppe der Leistlinge. Das sind Pilze, deren Fruchtkörper mehr oder weniger deutlich in Hut und Stiel gegliedert sind und die an der Außenseite lamellenähnliche Strukturen aufweisen. In unseren Breiten wachsen die goldgelb bis ocker gefärbten Pilze bis in den November. „Mit den ersten Nachtfrösten endet die Saison”, so der Pilzexperte. Züchten lassen sich Pfifferlinge übrigens noch nicht.
Gefunden wird die im Süden Deutschlands auch Eierschwamm genannte Delikatesse insbesondere auf feuchtem Waldboden zwischen Laub- und Nadelbäumen. Mit denen leben Pfifferlinge eine gewissermaßen partnerschaftliche Beziehung. Über ihr Myzel, ein Geflecht dünner Pilz-Fäden im Waldboden die zu den Wurzeln der Bäume führen, stehen sie in einer symbiotischen Verbindung. „Die Pilze liefern den Bäumen Feuchtigkeit und Nährstoffe wie Phosphor und Kalium. Im Gegenzug erhalten sie energiereiche Kohlehydrate für ihr Wachstum”, erklärt René Jarling. Schmoren sollten Pfifferlinge mindestens 10 Minuten. „Sie sind aufgrund ihres hohen Anteils an Chitin, das ist zum Beispiel im Panzer von Käfern, schwer verdaulich. Deshalb ist auch gutes Kauen wichtig.”
Woher der Ausdruck „Das ist keinen Pfifferling wert“ herkommt, ist ungewiss. Bekannt sind verschiedene Deutungen. Da Pfifferlinge in früheren Jahren in großen Mengen gewachsen seien, hätten sie als minderwertig gegolten. Das änderte sich in Deutschland, als ihre Bestände besonders in der Umgebung größerer Städte merklich zurückgingen. Eine zweite Erklärung ist, dass es im Süden Deutschlands früher ein Fünf-Pfennig-Stück gab, das im Volksmund „Pfifferle“ genannt wurde, und nur geringen Wert besaß.
Heute hingegen sind die goldgelb bis ockerfarbenen Pilze recht wertvoll, je nach Verfügbarkeit kosten sie zwischen 15 und 45 Euro das Kilo. 100 und 130 Kilo der maisgelben Pilze verkauft Markus Bussmann während der Saison jeden Samstag auf dem Wochenmarkt am Winterfeldtplatz in Schöneberg. Dazu kommen noch einmal 500 bis 600 Kilo an Händler und Gastronomen über seine Firma „Polfrucht“ am Berliner Fruchthof. Seine Ware bezieht Bussmann „zuerst vom Balkan, dann aus Polen, zur Zeit aus Weißrussland und der Ukraine“.
An einem Samstag Ende Juli kostet das Kilo Pilze 18 Euro,. „Pfifferlinge haben Tagespreise“, erklärt der 36-jährige Händler, „das ist empfindliche Ware.“ Brandenburger Pfifferlinge verkauft er nicht, „die dürfen nur für den Eigenbedarf gesammelt werden“. Bussman schätzt mittelgroße Pfifferlinge, „etwa drei Zentimeter groß.“ Die gehobene Gastronomie schwöre auf kleine, maximal eineinhalb Zentimeter große Ware, im Fachjargon Maulwurf-Pimmel genannt. Der Händler isst Pfifferlinge gerne als Beilage zu Fleisch oder mit Nudeln.
So verwendet sie auch Küchenchef und Gastronom Christian Ebert vom gleichnamigen Restaurant mit Sommerterrasse in Kudammnähe. Auf der festen Karte finden sich gerade mal eine Handvoll Gerichte. „Wir arbeiten ganz stark mit der Tageskarte“, erklärt der 59-Jährige. Seit 1986 arbeitet er im Restaurant, das von seinem Vater eröffnet wurde. Mittlerweile unterstützt den ausgebildeten Küchenmeister sein Sohn. Pfifferlinge spielen für ihn eine wichtige Rolle, „die Gäste lieben sie.“
Er bevorzugt kleine und feste Ware. Die wird erst unmittelbar vor der Verarbeitung gewaschen. „Nur schlechte Stellen wegputzen und eventuell den trockenen Fuß des Pilzes abschneiden“ rät der Koch. Die Fußabschnitte verwertet er für seinen vorzüglichen Pfifferling-Fond. Der kommt bei der Petersiliencremesuppe mit Pfifferlingen und Croutons zum Einsatz. Sehr beliebt ist die Vorspeise Carpaccio vom Black-Angus-Rind mit Pfifferlingen und frittiertem Salbei und Schweinefilet im Speckmantel mit Rösti und Pfifferlingen.
Gastronom Renato Zorzi vom „Vale un Peccato“ am Heidelberger Platz stammt aus der Region des Aosta-Tals in der italienischen Region Piemont. „Aufgrund der höheren Lage beginnt bei uns die Saison erst im August. Hier in Berlin sind wir klar im Vorteil“, sagt er. Seine Frau Kristin Schwier liebt die schmackhaften Pilze gebraten als Bestandteil eines sommerlichen Salats mit Radiccio, Avocado und Kirschtomaten genauso wie in einem cremigen Risotto mit Flusskrebsen oder vereint mit dezentem Tomatensugo, Speck und Tagliatelle. Auf der Tageskarte finden sich auch eine Pfifferlingsuppe mit Salciccia und manchmal sogar Lasagne mit Pfifferlingen.
Markus Bussmann, Winterfeldt-Markt, Winterfeldtplatz, Schöneberg, Tel. 397 45 70, Sbd. 8-16 Uhr, www.polfrucht.de
Ebert, Eisenzahnstraße 59, Wilmersdorf, Tel. 891 75 67, Mo.-Sbd- 15-24, So. 12-22 Uhr, www.restaurant.ebert.de
Jäger und Lustig, Grünberger Straße 1, Friedrichshain, Tel. 29 00 99 12, tägl. 12-24 Uhr, www.jaegerundlustig.de
Rutz, Chausseestraße 8, Mitte, Tel. 24 62 87 60, Mo.-Fr. ab 18 Uhr, www.rutz-restaurant.de
Vale un Peccato, Aßmannshauser Straße 26, Wilmersdorf, Tel. 82 70 52 75, täglich. ab 16 Uhr, Küche bis 23 Uhr, www.vale-un-peccato.de
Pilzberatung
Botanisches Museum Berlin
Königin-Luise-Straße 6-8 (Dahlem), Tel. 838-50 100, www.bgbm.org/bgbm/pr/about/pilze.htm
Termine unter https://www.bo.berlin/sites/default/files/2024-04/SprechstundenPilzberatung_April-2024-April-2025.pdf