Am kommenden Donnerstag läuft in der ARD die vierte Episode des Usedom-Krimis. Eine Woche später folgt die fünfte Episode. Katrin Sass spielt darin als ehemalige Staatsanwältin Karin Lossow die Hauptrolle. Ein Treffen mit der streitbaren Schauspielerin
Wir haben Glück mit dem Wetter. Kein Regen wie so oft dieses Jahr, stattdessen preußisch blauer Himmel über den der Wind watteweiße Wolken fegt. An einigen Restaurant-Terrassentischen am Schiffbauerdamm sitzen Touristen und genießen trotz herbstlicher Temperaturen den Blick auf die Spree. „Hier war ich 1978 das erste Mal“, erzählt Katrin Sass mit einer Mischung aus Wehmut und Verwunderung in der Stimme. „Mein erster Film. ‚Bis daß der Tod euch scheidet’. Von Heiner Carow. Da sind wir hier langgelaufen, mit Renate Krößner. Kann man sich heute nicht mehr vorstellen, wie das hier damals ausgesehen hat. Bröselige Fassaden voller Einschusslöcher, Reste der Straßenkämpfe am Ende des II. Weltkrieges. Grau und trist sah das hier aus. Haben die Leute vergessen“, sagt sie. „Daran sollten die sich mal erinnern, diese AfD-Wähler. Was alles erreicht wurde. Ein bisschen Demut statt Pöbeln. Aber“, wischt sie den letzten Satz weg, „deshalb sind wir ja nicht hier“.
Gut sieht sie aus, hat sich trotz der 60 Jahre einen jugendlichen Appeal bewahrt. Die Haare etwas heller und einen Tick länger als zuletzt, sehr entspannt wirkt sie. Unter einem cremefarbenen Trenchcoat trägt sie einen hellen Pullover, „ein Mitbringsel aus Usedom, von jedem Dreh bringe ich eine Klamotte mit“, kirschrote Jeans, modische Stiefel. Als sie im Restaurant „Brecht’s“ Platz genommen hat, mustern ihre tiefbraunen Augen aufmerksam den Schankraum. Es dauert etwas, bis sie sich für einen Tomaten-Brot-Salat entscheidet, dazu bestellt sie Kaffee und Cranberrysaft. Eine ungewöhnliche Mischung. Und doch passend, für eine ungewöhnliche Frau.
Ihr „Autochen“ wie sie liebevoll sagt, hat sie „genau vor der Tür“ geparkt. Eine gute halbe Stunde hat sie gebraucht von der Einsamkeit ihres Häuschens am Müggelsee bis in die Herzkammer der Stadt. Den Tag zuvor war sie an der Küste, oben in Meck-Pomm, Vorstellung der neuen Folge des Usedoms-Krimis. „Nebelwand“ heißt er. Katrin Sass spielt die ehemalige Staatsanwältin Karin Lossow, eine Frau mit abenteuerlicher Vita. Sie hat im Affekt ihren Mann erschossen. Ihre Tochter, Kommissarin Julia Thiel, gespielt von Lisa Maria Potthoff, ist Kommissarin, und nicht gerade gut auf die Mörderin ihres Herrn Papa zu sprechen. Die junge Enkelin Sophie, gespielt von Emma Bading, von den Eltern zur Oma ins Gartenhaus geflüchtet, hat einen jungen Lover, Jäckie, dargestellt von Oskar Bökelmann. Dessen Eltern sind vor vielen Jahren bei einem Bootzusammenstoß ums Leben gekommen. An dem war der Exmann der Staatsanwältin beteiligt. Nur der junge Jäckie überlebte damals. Jetzt gehört er zu einer Gruppe schwer erziehbarer Jugendlicher, die ein geldgieriger Projektleiter vor allem als lukrative Einnahmequelle betrachtet. Die Jugendlichen sollen am Strand das alte Boot wieder flott machen, auf dem Jäckies Eltern zu Tode kamen. Nachts fackelt der Kahn ab. Die rebellische Jugendliche Simone, gespielt von Lena Urzendowsky, wird von den andren Jugendlichen gemobbt. Sie freut sich über das brennende Boot. Doch kurz darauf ist sie entsetzt, als eine Obdachlose aus den Flammen wankt. Simone rettet ihr das Leben. Während Kommissarin Julia Thiel versucht, den oder die Täterin zu überführen, bemüht sich ihre Filmmutter, Lichts ins Dunkel des Bootunfalls vor vielen Jahren zu bringen.
Was hat Katrin Sass an der Rolle der Karin Lossow gereizt? „Ach, am Anfang war das vor allem ein Gefühl. Ich habe mich vor vier Jahren mit dem Produzenten Tim Gehrke und den Autoren im ‚Einstein unter den Linden’ getroffen. Ich dachte, ne Reihe? Hört sich gut an. Ich fühlte: Usedom, Meer, Heimat. Ich komme vom Schweriner See, und Wasser, egal ob süß oder salzig, hat für mich mit Heimat zu tun. Ich liebe Wasser. Von Frühjahr bis Herbst schwimme ich im Müggelsee und paddel mit meinem Bötchen.“
Außerdem bedeute eine Reihe auch über längere Zeit ein gesichertes Einkommen, „natürlich nur, wenn diese von allen für so wichtige Quote stimmt. Geplant waren zwei Folgen pro Jahr. Und da war noch etwas anderes“, sagt sie und rührt in ihrem erkalteten Kaffee. „Es gab von Anfang an eine gute Stimmung. Das ist heute selten beim Film. Im Nachhinein war es etwas, das mir immer wichtiger wird: eine gute Lebenszeit während des Drehs. Insofern ist der Usedom-Krimi ein Glücksstern, der vom Himmel fiel, ein Geschenk.“
Das Genre Krimi ist ihr nicht unbekannt. 1993 bis 1998 war Katrin Sass in dem damals noch vom ORB produzierten Polizeiruf neun Folgen lang die Kommissarin Tanja Voigt. Damit zählte sie neben Ulrike Folkerts zu den Pionierinnen der weiblichen Ermittlerinnen. „Beim Usedom-Krimi war ich froh, keine Kommissarin spielen zu müssen“, sagt sie. „Wissen Sie, wie viele Kommissare und Kommissarinnen sich heute auf dem Bildschirm tummeln? Ich nicht“, meint sie. Das mit den Krimis beurteilt sie „zwiespältig. Einerseits kann man ohne Krimis heute als Schauspielerin oder Schauspieler gar nicht mehr wirtschaftlich überleben. An Krimis kommt man ja heute gar nicht mehr vorbei. Andererseits ist das inflationär. Es vergeht ja kein Tag ohne Krimi auf dem Bildschirm, manchmal laufen drei, oder fünf.“ Deshalb habe sie sich auch schon auf der theoretischen Ebene mit dem Thema beschäftigt. „Schließlich ist das ein sehr interessantes Phänomen.“ Hängengeblieben ist ihr ein Artikel, in dem stand, Krimis liefen besonders in jenen Ländern erfolgreich, in denen es der Bevölkerung im Großen und Ganzen gut gehe. „Also in denen vergleichsweise wenig Gewalt herrsche. So wie bei uns. Das heißt, die Menschen schauen Krimis, um Abgründe zu erfahren, ohne selbst lebensbedrohliche Gefahren erleben zu müssen.“
Als Jugendliche habe sie in der DDR keine Polizeiruf-Krimis geschaut. „Das änderte sich 1981, als Schimanski im West-Tatort tobte. Ich fieberte jeder Folge entgegen. Lief ja im West-Fernsehen. Das habe ich, wie viele, verbotenerweise geschaut.“ Wenn sie von Schimanski-Darsteller Götz George spricht, schwingt Bewunderung, fast Ehrfurcht in ihrer Stimme. „Das war ein ganz Großer, einer der perfekt aus dem Bauch spielte, mit ganz viel Akribie, Ehrgeiz und Können“, führt sie aus. Nach der Wende habe sie sogar einmal in einem Schimanski eine gemeinsame Rolle mit George gespielt, „eine große Ehre.“ Ob er ein Vorbild war, beispielsweise für die Rolle als Kommissarin Tanja Voigt im Polizeiruf 110? Sie lacht kurz und heftig. „Damit will ich mich nicht vergleichen. Und überhaupt: ich hatte keine Vorbilder. Das war ja dann auch 1998 vorbei“, meint sie lakonisch.
Es war das Jahr, das sie heute als Zeitpunkt ihrer zweiten Geburt bezeichnet. Als Schluss war mit dem Alkohol. Als sie zusammenbrach und wieder aufstand. Eine andere Katrin Sass wurde. Eine Alkoholkranke, die nicht mehr trank. „In gewisser Hinsicht bin ich also ein Teenager“, scherzt sie. Es war der dritte Bruch in ihrem Leben.
Der erste Bruch kam nach einem großen Erfolg. 1982 erhielt sie auf der Berlinale in West-Berlin den Silbernen Bären als beste weibliche Darstellerin. Für ihre Rolle in dem DEFA-Film „Bürgschaft für ein Jahr“ von Regisseur Herrmann Zschoche. 26 Jahre jung war sie damals. Während ihres Berlinale-Besuchs büxte sie zwar aus, um das faszinierende West-Berlin kennen zu lernen, aber sie ist nach der Auszeichnung nicht im Westen geblieben, sondern wieder hinter die Mauer gegangen. „Trotz dieser Auszeichnung bekam ich zwei Jahre keine Filmrollen von der DEFA mehr.“ Nach fünf Jahre später war Katrin Sass wieder oben auf, wurde 1987 zur Schauspielerin des Jahres der DDR gewählt. Zwei Jahre später fiel die Mauer.
„Ich hatte mich so auf diesen freien Markt gefreut und dachte, nun geht es los.“ Was statt dessen los ging, war die Arbeitslosigkeit. „Eine bittere Zeit“, berichtet sie, „aber ich bekam immerhin Arbeitslosengeld.“ Mit der Rolle der Kommissarin im Polizeiruf war diese Phase finanzieller Not vorerst vorbei. Bis sie ihre Alkoholsucht öffentlich machte. „Da war wieder Sense mit Angeboten. Aber ich habe die Zeit genutzt, für mich, um meine Spiritualität zu entdecken. Habe versucht, mir Gutes zu tun, zur Ruhe zu kommen, nach meinem Weg zu suchen.“
„Mein Luxus sind mein Haus und Auto, mit dem ich vom See in die Stadt fahre, auch zu Dreh- oder Presseterminen. Ich kann das einfach nicht, mit dem Zug zu fahren, oder fliegen.“ Von ihrem Häuschen, sie sagt es sei ganz klein, für ein, höchsten zwei Menschen, ist sie auch Jahre nach dem Kauf, noch begeistert. „Wir haben uns gefunden, es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe davor gestanden, und war hin und weg. Und jetzt wohne ich da, es ist einfach wunderbar.“
Ganz allein lebt Katrin Sass im Haus am See. Hat sie keine Angst? „Das fragen mich viele. Aber ich habe keine Angst. Im Gegenteil. Ich liebe diese Ruhe. So wie heute morgen, wenn auf meinem Steg die Fischerreiher ihr Gefieder trocknen und vom See eine dünne Spur Nebel aufsteigt. Das ist für mich Heimat.“ Ein Wort, das wieder in Mode kommt. „Ach ja“, sagt sie mürrisch, „die von der AfD reden von Heimat, die Jungen Pioniere in der DDR sangen von Heimat. Ich glaube, Heimat ist dort, wo das Herz ist.“
Wo genau sich ihr Domizil befindet, will sie nicht sagen. Sie hat schlechte Erfahrungen gemacht 2013. Nachdem sie bei Markus Lanz in der Sendung explodiert war. „Eigentlich ging es um Sexismus. Da saß Peer Kusmagk, ehemaliger Dschungel-König und Berliner Gastronom, und erzählt vom Dschungelcamp. Der Ausraster ist bislang auf Youtube mehr als 1,4 Millionen mal angeklickt worden. „Da ist etwas über mich hereingebrochen, was ich nicht kannte und mir auch nicht habe vorstellen können. Heute nennt man das Shitstorm. Ich wurde so übel beschimpft, unglaublich.“
Diese Erfahrung habe sie geprägt und auch dazu geführt, dass sie sich mehr und mehr zurück gezogen hat. „Es ist doch so: Die Leute wollen schon ehrliche Worte hören. Aber wenn man sie sagt, wird man dafür bestraft. Vom Boulevard und vom Mob. Die wollen sich daran aufgeilen. Ich habe diese Reaktionen auf den Ausraster bei Lanz nicht verstanden. Ich habe es nicht begriffen. Ich habe jemand meine Meinung gegeigt, der mir auf den Zünder ging. Der Boulevard hat das ausgeschlachtet. Die leben von so was. Die haben mich in die Schublade Kinski gepackt. Ich gelte als schwierig. Dabei bin ich ganz einfach.“
Nach dem öffentlich machen ihrer Alkoholsucht 1998 ging es erst Anfang der Nullerjahre ging es wieder aufwärts. 2001 spielte sie die Hauptrolle in „Heidi M.“ mit Dominique Horwitz. Für die Darstellung einer verlassenen Frau auf der Suche nach einer neuen Identität erhielt Katrin Sass die „Lola“ als beste Darstellerin beim Deutschen Filmpreis 2001. Zwei Jahre später folgte ihre Rolle als verdiente alleinerziehende Mutter im Sozialismus, Christina Kerner in „Good bye Lenin“ von Wolfgang Becker. „Dieser Film ist in 180 Ländern gelaufen. Das sind fast alle auf der Erde. Noch heute sagen Menschen, die mich sehen. „Ich kenne sie, vom Film“. Dann frage ich „Aus der Serie Weißensee, vom Usedom-Krimi?“. „Nee sagen die Leute, von Good bye Lenin.“ Unvorstellbarer Weise zündete dieser Film aber keine weitere Stufe ihrer Film-Karriere. Es gab keine großen Kinofilmrollenangebote mehr.
Dafür ergab sich ein neue Wendung. „Ich hatte bereits als Kind hatte gerne gesungen. Mein Traum war, Schlagersängerin zu werden. Später sang am Theater und wollte das gerne weiter machen. Aber diese Türe ging erst nach „Good Bye Lenin“ weiter auf.“ 2005 trat sie erstmals in der Bar jeder Vernunft mit dem Programm „Fahrt ins Blaue“ auf, 2009 folgte „Good bye Lenin-Bonjour Katrin“ und 2015 ein Chanson-Programm. Daraus ergab sich die Produktion einer CD, auf der sie unter anderem vom Filmorchester Babelsberg zu Mecki Messer begleitete wurde.
„Seit der Schauspielberuf, nicht mehr der Nabel der Welt ist, und ich mich nicht mehr über ihn definiere, kommen wieder mehr Offerten für Drehs, die Freude machen. Eine nahm sie noch während der Drehzeit für den fünften Usedom-Krimi an. Sie spielt ein Flintenweib auf einer kleinen kanadischen Insel, um deren Besitz sie sich mit Wolfgang Stumph streitet. „Eine traurige Komödie. Trotzdem hat der Dreh unheimlich Spaß gemacht.“ Der 90-Minüter wird am 1. Dezember ausgestrahlt. Vorher läuft am 26. Oktober die fünfte Folge des Usedom-Krimis, „Trugschluss“. „Ich kann nur so viel sagen: in der sechsen Folge wird eine neue Kommissarin vorgestellt“, verrät Katrin Sass und fragt sich sogleich laut „Hätte ich das jetzt überhaupt sagen dürfen?“