Ferran Adrià: „Heute würde ich ein Restaurant mit traditioneller Küche eröffnen“

Ferran Adrià ist der Mastermind der Küche der Emotionen.

27 Jahre arbeitete sich der Katalane Ferran Adrià vom Tellerwäscher bis zum 3-Sterne-Koch empor. Mit seiner dekonstruvistischen Küche im Restaurant „elBulli“ galt er bis zur Schließung 2011 vielen als Genie, wurde aber auch polemisch als Molekularkoch kritisiert. Ein Treffen

Franz Michael Rohm

Im Rahmen der 10. Berlin Food Week wurde der von vielen als Jahrhundertkoch verehrte Katalane zu einem „Iconic Talk“ geladen. Für einen Tag und eine Nacht kam der 62-Jährige nach Berlin. Mit der Stadt verbindet ihn die einzige Auszeichnung für einen Koch mit dem „Lucky Strike Design Award“ und eine Teilnahme an der Berlinale. Ansonsten folge er der Berliner Spitzengastronomie, „ der kreativsten der Welt“, so Adriá, zeitgemäß auf Instagram.

Übernachtet hatte im Hotel „Orania“ am Kreuzberger Oranienplatz. Zum Gespräch erscheint er wie seit vielen Jahren in klassisch existenzialistischem Schwarz gekleidet, die Haare sind altersgemäß ergraut. Wer ihn kennt, weiß, auf eine Frage antwortet er mit einer Kaskade von Sätzen. Zum Beispiel, was sich in der Welt der Gastronomie seit der Schließung des „elBulli“ 2011 geändert habe. „Nun, die Herde, Öfen, Konvektomaten und elektrischen Küchengeräte seien dank digitaler Technik noch präziser zu handhaben. Yuzu hat in die Küchen Einzug gehalten, Shizo, überhaupt Japan. Eine fantastische Küche, von dort könnte der nächste Impuls kommen“, so Adrià. „Und dann gibt es noch den wundersamen Erfolg der Burrata. Die kannten vor 15 Jahren nur die Menschen in Süditalien. Heute findet sich Büffelmozzarella in jedem Supermarktkühlregal.“

Ferran Adrià ist der Mastermind der Küche der Emotionen.

Keine 300 Meter vom Hotel „Orania“ entfernt befand sich vor 15 Jahren, zu Hochzeiten der international Molekularküche genannten , Adrià nennt sie heute Küche der Emotionen oder metaforische Küche, das Geschäft „El Taller“. Hier konnten Essenverrückte,heute heißen sie Foodies, und Feinschmeckerenthusiasten Zutaten wie Xanthan, Lecitin und Alginat, Geräte wie Siphons und kaufen konnten. Damit ließen sich dekonstruierte Köstlichkeiten wie Olivenölperlen, Jakobsmsucheln mit Luft von der Lycheefrucht oder Sphären genannte Schäume, etwa von Melonen zaubern. Der Meister lächelt kurz, „das ist lange her.“ Berlin sei gastronomisch noch immer eine aufregende Stadt. Zuletzt gegessen hat er im einzigen Drei-Sterne-Restaurant Berlins, dem „Rutz“ unter der Ägide von Marco Müller. „Grandios“, erinnert er sich. Wie viele Spitzenköche arbeitet auch Müller mit den von Adriá entwickelten Techniken.

Zum Vortrag bei der Berlin Food Week kamen 150 Foodies und Köche

Seit der Schließung des Restaurants vor 13 Jahren kocht Adrià nicht mehr. „In den letzten Jahren vor der Schließung habe ich auch schon weniger gekocht als vielmehr in unserer Werkstatt, mit meinen Bruder Albert und Küchenchef Soler experimentiert und kreiiert. Die Gänge haben 45 Köche hergestellt.“ Insgesamt haben im elBulli rund 2.000 Kocheleven seine Techniken gelernt, darunter spätere 3-Sterne-Köche wie René Redzepi vom Kopenhagener „Noma“ oder Massimo Bottura von der „Osteria Francescana“ in Modena.

Der Grund für die Schließung des „elBulli“? „Wir waren mit dreimal 44 neuen Gängen in der Saison an unsere konzeptionellen Grenzen gestoßen“, konstatiert er ohne Wehmut. Seit der Schließung des „elBulli“ habe er mehr als einhundert Projekte realisiert, eine Gastronomie-Stiftung gegründet, mit seinem Bruder Albert zwei enzyklopädische Dutzend Kochbücher bei Bullipedia veröffentlicht. Im vergangenen Jahr besuchte er 80 Städte rund um den Globus, noch immer gilt Adrià vielen Feinschmeckern und Foodies gastronomischer Heilsbringer. Auch zum Vortrag über die Produkte der Region Katalonien und die Evolution der Gastronomie im Rahmen der „Berlin Food Week“ kamen mehr als 150 Köche und Foodies.

Ferran Adrià ist der Mastermind der Küche der Emotionen.

Vor zwei Jahren hat Adria nach siebenjähriger Bauzeit und mehr als 10 Millionen Euro Investition als öffentliches Museum und Lehrzentrum für seine Kochjüngerschaft, Bullistas genannt, auf 4.000 Quadratmeter Fläche inklusive dem ehemaligen Restaurant als musealen Besichtigungsort eröffnet. „Wir wollten das Erbe dessen, was wir im Restaurant geschaffen haben, der Nachwelt zugänglich machen und erhalten. Das Museum elBulli1846 heißt so, weil mein Bruder Albert, Küchenchef Soler und ich mit Hilfe hunderter Köche im Laufe der Jahre 1846 Rezepte entwickelt haben. Wir zeigen auch Geräte wie die erste Pinzette, die bei uns zum Einsatz kam. So etwas wird heute in jedem besseren Lokal verwendet.“ Etwa vier Monate im Jahr hat das Museum geöffnet, als nächstes wieder ab Ende April.

Ferran Adrià: Gutes Essen nährt die Seele

Zu seinen aktuellen Herzensprojekten zählt seit einem Jahr der Betrieb der Gastronomischen Universität Madrid MACC. Ein Thema dort sei die dramatische Situation der Gastronomie, die sich nicht wesentlich von der in Berlin unterscheidet. „In Spanien überlebt kaum die Hälfte der neu eröffneten Restaurants die ersten fünf Jahre. Ein Viertel nicht einmal zwei“, so Adrià. Zudem hätten sich die Rahmenbedingungen „gravierend verändert. Die Löhne sind stark gestiegen, Arbeitszeiten wurden auf acht Stunden täglich begrenzt, von steuerlicher Seite wurden quasi unbestechliche Kassensysteme eingeführt. Dazu kommen die Inflation, Energiepreise und ständig steigende Mieten in den Städten.“ Um wirtschaftlich bestehen zu können, seien unternehmerische Fähigkeiten gefragt, „egal ob man eine Bar, eine Gaststätte oder ein Fine Dining eröffnet. Du musst schon wissen, wie man Kosten und Einnahmen kalkuliert, was Service, Ambiente und Konzept bedeutet.“ Da will er, zusammen mit der größten Bank Spaniens, Hilfsprogramme entwickeln.

Die Lage in der Spitzengastronomie ist alarmierend

Ferran Adrià im Gespäch mit Berliner Morgenpost-Autor Franz Michael Rohm

Seine Welt sei nach wie vor die der Spitzengastronomie, „das ist schließlich mein Metier“, sagt der Ausnahmekoch. Besonders dort sei „die Lage alarmierend. Das liegt nicht unbedingt an weniger Kaufkraft, sondern auch daran, dass es noch nie so viele Sternerestaurants wie heute gab. Als ich 1980 anfing, hatten wir in Spanien kein einziges 3-Sterne-Restaurant. Heute sind es 15. Weltweit sind es 145, dazu kommen rund 500 2-Sterne-Restaurants und knapp 3.000 mit einem Stern. Die kämpfen alle um denselben Kuchen. Die meisten Sterneköche und -restaurants in Spanien und Italien, und ich glaube auch in Deutschland, überleben nicht, weil sie ausschließlich kulinarische Top-Qualität für die Gäste servieren. Sie überleben, weil sie Catering-Veranstaltungen verkaufen, Beratung machen, im Fernsehen zu sehen oder Botschafter von Luxusmarken sind.“

Die Idee der Betreiber einiger Berliner Sterne-Restaurants als Reaktion auf die angespannte wirtschaftliche Lage Lunch für 13 Euro oder preiswertes Brunch anbieten, hält Adrià für „auf Dauer unmöglich. Das wird nicht funktionieren. Für mich ist das Selbstmord.“ Er vertritt die Auffassung, dass der Markt die Situation regeln wird. „Wenn dein Restaurant aus welchen Gründen auch immer, sei es Standort, Preise, Ambiente, Qualität, zu viel Konkurrenz mit ähnlichem Konzept, nicht angenommen wird, nicht funktioniert, dann überlebt es nicht. So hart das ist.“

Beobachtet er wie ähnlich wie bei einigen Berliner Lokalen, etwa „Luna d’Oro“, „Eins44“, „Nobelhart & Schmutzig“ oder „Zur Letzten Instanz“ eine Rückbesinnung zu traditioneller, regionaler Küche? „Das würde ich begrüßen. Aber bis jetzt erscheint mir das überwiegend Medien-Bla-Bla zu sein.“ Doch wer weiß. Zum Ende des Gesprächs verrät Ferran Adriá: „Wenn ich heute ein Restaurant eröffnen würde, dann nicht eines mit kreativer Küche, sondern eines mit traditioneller Küche.“

elBulli1846, Carrer la Roca 4, Roses, Girona, Tel. 0034-638 00 16 46, ab 26. April 2025, www.elbullifondacion.com

Vita Kasten

Ferran Adrià wurde 1962 in Katalonien geboren. Von 1984 bis 2011 leitete er das Restaurant elBulli an der Cala Montjoi, einer Bucht an der Costa Brava nahe Barcelona. Benannt war es nach der Bulldogge des deutschen Betreibers. In den 1990er-Jahren begann er zu experimentieren. Adrià nennt seine Küche “Avantgarde” oder „Küche der Emotionen“. Die molekularen Gerichte seien nur ein Teil davon. 2011 schloss Adrià das Restaurant elBulli und widmet sich seither im Rahmen der elbulli foundation der Erstellung einer gastronomischen Enzyklopädie, der Bullipedia, sowie der Erforschung kreativen Denkens. Er gilt als einer der einflussreichsten Köche der Gegenwart. Adrià hat so gut wie alle wichtigen Kochpreise gewonnen, sein Restaurant wurde fünfmal als weltbestes ausgezeichnet.

Veröffentlicht unter Feine Kost

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