Rund 220 Kilometer führt der Weg entlang des Flusses von der Hauptstadt an die Elbe. Ein Fahrgenuss in vier Etappen
Eigentlich könnte die Havel von ihrer Quelle bei Ankershagen bis zur Mündung in die Elbe mit knapp 94 Kilometern Länge auskommen. Stattdessen windet sie sich dreieinhalb mal so lang und genießt die Landschaft. So wie wir auf unserer Radtour.
Zuerst fließt sie als Obere Havel durch die Mecklenburgische Seenplatte nach Nordbrandenburg Richtung Berlin. Dann als Mittlere Havel durch die westliche Hauptstadt über Potsdam nach Brandenburg um als Untere Havel bei Rathenow Sachsen-Anhalt zu erreichen und kurz hinter Havelberg in die Elbe zu münden. Sie lässt sich Zeit, die Havel, määandert, bildet riesige Seen, bewässert Auenlandschaften.
Genau so gemütlich wie der drittwasserreichste östliche Zufluss der Elbe wollten wir uns fortbewegen, drei Menschen zwischen Anfang und Ende Sechzig. Semiprofessionell vorbereitet, sprich Radlerhosen gegen wunde Stellen am Allerwertesten, Gelhandschuhe gegen einschlafende Hände, durchgesehenen Fahrrädern, ging es von Berlin aus los. Die Übernachtungen hatten wir vorsichtshalber fest gebucht, Radtouren in Corona-Zeiten fordern einen gewissen organisatorischen Tribut.
Ein gemütlicher Start von der Berliner Innenstadt führt in den Westen über die Seenkette Krumme Lanke, Schlachtensee und Nikolassee zum Wannsee – einem Havelsee – und von dort nach Potsdam. In der Brandenburgischen Landeshauptstadt lohnt ein Extra-Tag zum Besuch der Preußischen Schlösser und Gärten, von Schloss Babelsberg über das Museum Barberini, den Alten Markt und natürlich Park Sanssouci mit dem gleichnamigen Schloss, Neuem Palais oder den Neuen Kammern.
In Potsdam geht es ein Stück hinter dem im Barockbau untergebrachten Filmmuseum rechts zum Ufer des Templiner Sees, auch der eine Ausbuchtung der Havel. Durch schattige Mischwälder führt der Radweg am See entlang bis nach Geltow, wo es über die Havel nach Werder geht, berühmt für seine Obstweine und das Blütenfest im Frühjahr. Wir lassen uns von reichlich Angebot vor Bauernhöfen nicht verführen sondern gondeln mit 15 bis 20 Kilometer pro Stunde entlang des Flusses durch Felder und Wiesen. Nicht weit entfernt von einer gigantischen, überwachsenen Bauschutthalde bei Deetz beginnen die Havelauen. Hunderte Nil- und Graugänse hocken in den Wiesen und erinnern mit ihren Geräuschen an Sequenzen elektronischer Musik, die unsere Kinder früher hörten. Feldlerchen fliegen auf, in einer Pappel sitzen riesige, dickschnabelige Kolkraben, hoch oben wetzen Mauersegler ihr Bauchgefieder im Nachmittagslicht.
Was brauchen Städter mehr? Eine Abkühlung zum Beispiel. An zahlreichen Stellen können die Räder ruhen und man taucht ins erfrischende Wasser. Doch Obacht, die Havel ist schiffbar, und nicht nur Sportboote sind in der Schifffahrtrinne unterwegs, sondern auch fette Frachtkähne. Die letzten Kilometer nach Brandenburg an der Havel führen dann leider neben einer recht befahrenen Bundesstraße, aber Natur pur ist nun mal nicht in Stadtnähe. Brandenburg ist nicht nur das Zentrum des Bungalow-Bootsverleihs, sondern besticht durch eine pittoreske Altstadt in deren Zentrum die Dominsel mit historischer Bebauung liegt.
Nach ausgiebiger Erkundung von im Abendlicht leuchtenden ehemaligen Wehrtürmen, Brücken über die Havel, gutem Essen wurden in der Bed & Bike Pension die ersten Zipperlein – Oberschenkelkrämpfe, Knie- und Achillessehnenschmerzen – behandelt. Fast 70 Kilometer zurück gelegt, toll, dachten wir, bis stählern wirkende, rauhaarige Radler aus Hamburg auftauchten, und von 100 oder 120 Kilometer Tagesetappen sprachen. Eines ist klar, auch nach 70 Kilometern schläft man sehr früh und sehr gut.
Nach der Besichtigung des Domes St. Peter und Paul, grandiose Brandenburger Backsteingotik, Krypta unter dem hölzernen Chor, ging es wieder auf den Sattel.
Nochmals entlang einer Ausfallstraße, zum Glück wie fast durchgehend auf diesem Teil des Havelradweges, mit speziellen Radwegen neben der Fahrbahn. Hinter der letzten Wohnsiedlung Brandenburgs Richtung Westen biegt der Radweg scharf rechts ab und führt durch hügelige Pinienwälder entlang der nächsten Seen über Kirchmöser, Kaltenhausen und Teckow nach Föhrde. Am Pritzerber See wird die Havel mit einer Ketten-Fähre überquert und man erreicht das weite Milower Land. Felder, Wiesen, Wälder mit dickstämmigen Eichen begleiten uns, hoch oben kreisen Raubvögel. Bussard, Milan, Habicht? Mist, wieder mal das Fernglas vergessen. Die Zipperlein werden nicht besser, im Gegenteil.
Zum Glück gibt es in Milow ein direkt am Wasser gelegenes Restaurant mit ausgezeichneter Küche, das zu einer längeren Pause einlädt. Von Milow dann gestärkt entlang von Auwald und Feldern nochmals rund 15 Kilometern nach Rathenow. Unterkunft hatten wir in Steckelsdorf auf einer Pferderanch gebucht, dörflich und ruhig, allerdings ohne Gastronomie in der Nähe. Aber das hatten wir ja bereits in Milow erledigt und fielen nach einem an der Tankstelle gekauften Feierabendbier radwund in die Betten.
Am nächsten Morgen gab‘s im Saloon mit ausgestopftem Büffel- und Longhorn-Schädel ein formidables rustikales Frühstück mit hausgemachter Wurst, auch mit rustikalen Corona-Diskussionen am Frühstückstisch.
Am Rande des Truppenübungsplatz Klietz, Verlassen Sie nicht die Wege!, führt der Radweg über das Örtchen Grütz nach Neuschollene, Molkenberg und Warnau nach Garz mit einer hübschen Rundkirche, zweistöckigen Fachwerk- und Gründerzeithäusern und reichlich Kopfsteinpflaster. Hinter Garz wechselt der Radweg mehrfach links und rechts der L 2. Felder und Wiesen, die ersten Trappen. Ein heftiger Schauer, zum Glück ein Unterstand und dann erreichen wir Havelberg, Hansestadt Havelberg, steht auf dem Ortsschild. Durch die Lage an der Elbe war die Stadt mehrere hundert Jahre im Verbund der norddeutschen Kaufleute. Vom Fluss umschlungen präsentiert sich die 6500-Einwohner-Stadt an der Havelbrücke mit zauberhafter Altstadt auf einer Havelinsel. Dahinter erhebt sich monumental der Dom. Bereits um 950 gründete Kaiser Otto I. hier ein Bistum, um westslawische Stämme zu missionieren, und zu unterwerfen, was zu zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen führte. An der wehrhaften Architektur des kirchlichen Baues kann man das bis heute nachvollziehen.
Kurz hinter Havelberg verbindet ein Kanal Elbe und Havel für den Schiffverkehr. Die Havel zieht noch einen weiten, renaturierten Bogen durch Auenlandschaft, Wiesen und Felder und mündet etwa 15 Kilometer weiter in die Elbe. Kurz darauf endet die Tour im mittelalterlichen Wittenberge. Nun sind wir wieder in Brandenburg, im nordwestlichsten Zipfel. Von hier bringt die Regionalbahn Radler in eineinhalb Stunden zurück nach Berlin. Hätte man auch noch in zwei Etappen zurück radeln können, allein, Po, Knie und Ferse schmerzten zu stark. Beim nächsten Mal vielleicht.
Apropos. Im Nachhinein, wenn man schlauer ist: Die erste Etappe war für uns Ungeübte zu lang. Von elementarer Wichtigkeit ist die Satteleinstellung. Zu hoch führt zu Achillessehnenschmerzen, leicht nach hinten gekippt zu wunden Stellen am Po.
Weitere Informationen:
Fahrradverleih in Berlin:
Fit Fahrradladen: Stromstraße 66, Moabit, Tel. 030/398 878 10, Öffnungszeiten: Mo-Fr 9-19 Uhr, Sa 9-15 Uhr, 5 Tage: 7 €/Tag, 7 Tage; 6 €/Tag; 50 Euro Kaution, www.fit-fahrradladen.de
Fat Tire Bike Rentals, Preise: Panoramastraße 1a, Mitte und Hardenbergplatz, Charlottenburg, Tel. 030/24 04 79 91, Öffnungszeiten: tgl. 9.30 – 18 Uhr, ab dem 3. Tag 10 €, www.fattiretours.com
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club bietet auf seiner Webseite eine Liste von Fahrradverleihern in allen Bezirken an, https://adfc-berlin.de/service/branchenbuch/fahrradverleih.html
Unterkunft:
Die Verband Bett+Bike bietet auf seiner Seite zahlreiche Unterkünfte entlang der Strecke von Berliner nach Havelberg unter https://adfc-berlin.de/service/branchenbuch/fahrradverleih.html
Empfehlenswert:
Big DD Ranch. Familie Deichsel, Waldweg, 14712 Rathenow OT Steckelsdorf, ,
Tel.: 0162 – 298 46 70 und 0162 – 298 46 72 , 30 Euro Übernachtung und Frühstück, Pferdeeldorado, aber auch Drahtesel willkommen, https://www.big-dd-ranch.de
Karten: Die App von Komoot ist empfehlenswert