Ich hatte mir fest vorgenommen: Keine Schwimmnudel. Bereits am frühen morgen pilgerten die Kur- und Badegäste mit diesen grotesken, plastikgeschäumten armdicken Schwimmhilfen durch die kleine Fußgängerzone des Örtchens Bad Hévíz hinunter zum See. Hunderte Menschen, einige in weißen Bademänteln, fast alle mit der Schwimmnudel, manche mit Schwimmreif. Aber dann hatte uns Lajos Farkas in der Badeanstalt einfach eine in die Hand gedrückt. Meine war kanariengelb. Beim dritten Gang in das schwefel- und mineralhaltige Heilwasser habe ich sie dann benutzt. Das 34 Grad warme Wasser hatte mich schlapp gemacht und so dümpelte ich ohne Anstrengungen ein Viertelstündchen. Länger sollte man nur unter ärztlicher Aufsicht.
Vorher berichtete Farkas, wie die fürstlichen Großgrundbesitzer der Familie Festetics bereits Ende des 18. Jahrhunderts am See ein erstes kleines Badehaus errichteten. Und wie sich der Badetourismus in Bad Hévíz über zwei Jahrhunderte entwickelte. Richtig Fahrt nahm das Kurwesen in dem zehn Kilometer vom Balaton-See entfernten Ort auf, als ein lokaler Brauereibesitzer den Thermalsee von den Fürsten pachtete und Ärzte die heilende Wirkung besonders bei Rheuma-Erkrankungen feststellten. Zwei Quellen speisen den rund vier Hektar großen See und erwärmen ihn auf rund 35 Grad im Sommer und immerhin über 23 Grad im Winter.
„Rund neunzig Prozent unserer Gäste kommen auf Grund rheumatischer Beschwerden, Entzündungen der Gelenke und nach Gelenkoperationen“, erklärt Veronika Moll. Die Ärztin ist Tochter des Erfinders der sogenannten Gewichtstherapie. Dabei werden Menschen, die unter Wirbelsäulenschmerzen und –verkrümmungen leiden, mit leichten Gewichten in speziellen Vorrichtungen in das Heilwasser gehängt. „Sowohl unser mit Schwefel, Kalzium und Karbonat versetztes Heilwasser als auch unsere speziellen Anwendungen sind der Grund für den guten Ruf von Bad Hévíz“, betont die Ärztin.
Die Badehäuser im sogenannten Festetics-Stil mit spitzen Türmen am Eingang und dem überdachten Schwimmbecken wurden im Laufe der Jahre mehrmals modernisiert. 1948 wurde die gesamte Anlage verstaatlicht und bis 1990 verbrachten Millionen von Ungarn hier sozialistische Ferien mit Kurbetrieb. Von dieser Zeit künden noch einige monströse Hotelkästen.
Die fünf großen Hotels sind mittlerweile alle modernisiert und verfügen über ansprechende Wellnessbereiche mit teilweise eigenen Thermalwasserquellen. „Früher kamen hier im Jahr überwiegend Urlaubsgäste aus Ungarn und viele DDR-Bürger. Heute besuchen uns mehr als eine Million Übernachtungsgäste aus 45 Ländern“, erklärt Krisztina Csorja vom Fremdenverkehrsamt Bad Héviz. In der Nebensaison freuen sich deutsche Gäste über preiswerte Angebote für drei Wochen Aufenthalt mit Halbpension und bis zu zwanzig Anwendungen.
Neben dem Kur- und Wellnessbetrieb können Touristen sich mit Tagesausflügen zum Balaton (Plattensee) ablenken.
Zum Beispiel schippert von April bis Ende Oktober das restaurierte historische Dampfschiff „Helka“ bis zu sieben mal pro Tag über den See. Maximal 125 Passagiere nimmt das innen mit Vollholz ausgekleidete Schiff mit auf Fahrt. Kapitän János Pliha ist stolz auf einen umweltfreundlichen 300-PS Dieselmotor aus Südkorea. In der Wintersaison bringt er mit seiner dreiköpfigen Crew und den Ehefrauen das Schiff wieder auf Vordermann und bevor die Saison wieder startet, wird die Außenhaut der „Helka“ im Trockendock überholt.
Ein Highlight für Schloss-Romantiker ist der Besuch eines der schönsten Barockschlösser Ungarns. Sieben Generationen des Adelsfamilie Festetics verwandelten das über dem Ort Keszethely gelegene Schloss in ein Kleinod barocker Architektur. Unbedingt empfehlenswert ist die deutschsprachige Führung mit Nikolas Lönhard. Der 77-jährige führt mit Charme und viel Humor durch einen Teil der 101 Zimmer, Räume und Säle. Ihre Pracht erklärt sich durch den großen Reichtum der Grafen Festetics, die nicht nur die berühmten großen Grauen Steppenrinder zu zehntausenden züchteten, sondern auf ihrem 100 000 Hektar fassenden Besitz auch die besten Rennpferde Österreich-Ungarns großzogen. Mitglieder der Festetics berieten Kaiserin Marie Theresia und Kaiser Franz, sie heirateten in den europäischen Großadel und bestimmten bis zum Zweiten Weltkrieg maßgeblich die Geschicke des Landes. Ihr enzyklopädisches Wissen trugen sie in einer der schönsten und prächtigsten Bibliotheken weltweit zusammen. Die rund 90 000 Bände, darunter eines von vier Exemplaren der wissenschaftlichen Erfassung der Reichtümer Ägyptens durch Gelehrte, die Napoleon bei seinen Feldzügen begleiteten, können noch heute von Wissenschaftlern eingesehen werden. Die Nachkommen der Festetics leben heute in Wien.
Wer Abwechslung vom Hotelessen sucht, findet im Ortsteil Egregy hinter dem neuen Archäologischen Museum mit zahlreichen Funden aus der Römerzeit Dutzende urgemütliche Weingaststätten mit rustikaler Küche und süffigen ungarischen Weinen wie Riesling oder Cabernet Sauvignon. Doch nicht zu viel von Speis und Trank, denn am nächsten Morgen geht es wieder zu den Anwendungen und in den See, natürlich mit der Schwimmnudel.
Allgemeine Informationen
Anreise
Per PKW über Wien. Flüge nach Wien oder Budapest, die 200 Kilometer-Fahrt kann für 39 Euro pro Person als Hol- oder Bring-Shuttle gebucht werden.
Wöchentliche Flüge zum Flughafen in der Nähe von Hévíz von Berlin, Düsseldorf Frankfurt und Hamburg unter www.spaheviz.de oder www.heviz.hu
Tourist Information Hévíz 0036/83/54031
Unterbringung
Mehrere 4-Sterne-plus Hotels mit Saunas, Wellness- und Beautyangeboten, teilweise mit eigener fachärztlicher Abteilung, Hotel Europa, www.europafit.hu/de, Hotel Carbona, auch Dentalservice, www.carbona.hu/de ab etwa 100 Euro Doppelzimmer mit HP, 7 Tage für 6 Preis, gleicher Preis 5-Sterne-Hotel Lotus, www.lotustherme.net/de
Zahlreiche 3-Sterne Hotels, Appartements und Ferienwohnungen, z. B. William’s Haus, im Ortsteil Eygregy, 25 Euro Doppelzimmer, Frühstück 5 Euro, www.apartmanheviz.hu/de/
Egregyer Museum (Archäologisches Museum), Öffnungszeiten Sommer: täglich 10 bis18 Uhr, Winter: Montag bis Samstag 8 bis 16 Uhr
www.heviz.hu/entdecken-sie-heviz/gebaute-werte#egregyermuseum
Schloss Festetics
Helikon Schlossmuseum, Keszthely, Kastély Strasse 1, Tel. 0036/06-83/314-194, Oktober bis April Dienstag bis Sonntag 10 bis17 Uhr, www.helikonkastely.hu/de/